Bahntraumatische Belastungsstörung

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XaverK
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Bahntraumatische Belastungsstörung

Beitrag von XaverK »

Eine Bahntraumatische Belastungsstörung aufgrund einer gebuchten Fahrt 1. Klasse mit der Deutschen Bahn
(Diesmal verursachte nicht die Post die traumatische Belastungsstörung)


Die Ausgangslage:
Eine Einladung nach Frankfurt/Main zu einem Frühstück und einem schönen Tag.

Vorüberlegungen:
Es gibt mehrere Alternativen unter verschiedenen Kriterien von Offenburg nach Frankfurt zu kommen.
1. Absolute ökologische Verträglichkeit: Lassen wir einfach mal ein Greta-gemäßes Reisen mit dem Segelboot ab Kehl/Auenheim rheinabwärts und später mainaufwärts außer Betracht.
2. Fahrt in meinem geliebten Begleiter Toyota Avensis: Bequem, mit Wunschunterhaltungsprogramm, Navigation und Sitzheizung. Allerdings ökologisch bei weitem nicht so effizient wie Alternative 1. Dazu kommt noch die A5, das schlechte Wetter, der Berufsverkehr am Morgen und die mindestes ½ bis 1 stündige Parkplatzsuch in Frankfurt Sachsenhausen.
3. FlixBus: Kenne ich mich nicht aus: Hält in Karlsruhe und Mannheim mit entsprechender Zeitverzögerung.
4. Die Deutsche Bahn: ökologisch die 2. beste Wahl. Heureka!
Dieser Alternative konnte ich, nach reiflicher Überlegung, letztendlich die Priorität zuweisen.

Also buchte ich einen Sitzplatz 1.Klasse (mit Bahncard) bei der Deutschen Bahn!!! Ich wollte auch die Fahrt genießen nach der Teildevise: Der Weg ist zumindest ein Teil des Ziels.
Die Buchung stand in unmittelbarer Verbindung mit folgenden Erwartungen:

• Ein pünktlicher und stressfreier Zug zu Beginn der täglichen, durch viele Menschen am Tagesanfang geleisteten Sicherung unseres Sozialprodukts in Deutschland, sprich: Hauptverkehrszeit.
• Ein bequemer, rentnergemäßer Sitzplatz, mit Bedienung und der Möglichkeit der Kaffeebestellung zum gemütlichen Inhalieren der Badischen Zeitung bis Frankfurt. Durchgehend, ohne Umsteigen!!
• Und vor allem die Lautsprecher-Begrüßung in reinstem Oettinger- Englisch: „Sänk ju for drewwelling wiss se Deutsche Bahn“.

Eine Freundin fuhr mich am Donnerstag, 12.12.2019 um 7 Uhr mit besten Wünschen für meine Gastgeber zum Hbf Offenburg. Rechtzeitig angekommen, dankend ob der freien Taxifahrt mit Küsschen rechts und links. Gemächliche, weil zeitlich opulent ausgestattet, schlenderte ich vom Ostausgang Richtung Bahnsteig 3, immer noch den bequemen Sitz in Erwartung und den Kaffee in der 1. Klasse in der imaginären Nase und im Gaumen.

Am Bahnsteig 3 angekommen erwarteten mich einige Bahnkunden in ihrem Smartfone vertieft, ein normaler Vorgang überall in der heutigen Zeit, also für mich nicht beunruhigend. Als ich jedoch die Bahnsteig-anzeige mit durchlaufender Banderole las, war mir klar, warum wenigstens einige dieser Smartfoneversunkenen so heftig auf ihrem Gerät herumhackten. Da oben stand sachlich einfach: „ICE nach Hamburg Altona, Abfahrt 7:24 Uhr“ und dann darüber mit durchlaufender Banderole: „Dieser Zug fällt aus“!!!! Natürlich ohne Ausrufezeichen. Die Ausrufezeichen waren nur meiner Psyche geschuldet.

Vertrauend auf das Wissen, dass wir in Deutschland zwar etwas verspätet, dennoch mittlerweile auf dem Wege sind, uns aus der industriellen in eine Informationsgesellschaft zu entwickeln, hegte ich immer noch Vertrauen, meinen Sitzplatz 1. Klasse mit Kaffee gesichert zu haben.

Das Informationshäuschen auf dem Bahnsteig zeigte Licht! An der Tür stand die Information: „Dieser Stand ist von 6:00 bis 18:00 Uhr besetzt. Bitte Klopfen.“ Es war mittlerweile 7:40 Uhr. Ich klopfte mit den Fingerkuppen mehrmals an die Glastüre, die sich aber nicht öffnete. Daraufhin ließ ich, in Anbetracht meiner schon geröteten Fingerkuppen, von diesem Unterfangen ab.

Rettung zur Informationsgewinnung, welchen weiteren Zug ich nehmen sollte, versprach ich mir von dem Info-Point in der Bahnhofshalle. Dort, nach Treppe runter und irgendwann wieder Treppe hoch angekommen, sah ich zwar eine Jacke über eine Stuhllehne gehängt, jedoch nicht den dazugehörigen Informanten.

Dann versuchte ich mein Glück in der Schalterhalle, die hoffnungslos überfüllt war. Ob dieses Anblickes kapitulierte ich und schlich wieder zu meinem zugigen Bahnsteig. (Zugig könnte doppeldeutig verstanden werden. Ich meine, es hat gezogen wie Hechtsuppe und nicht, dass ein Zug kam!)

Ich entdeckte einen Kapuzenmann, ohne dessen Gesicht zu sehen, aber tief in sein Smartfone versunken, mit Rucksack und einem großen Koffer, also eventuell ein Informant. Ich sprach ihn an und bei der Präsentation seines Gesichtes schaute ich in vermeintlich verzweifelte indigene Augen. Er fragte mich auf Englisch, ob ich die Bahn-App verstehen würde, ein Freund hätte sie ihm auf sein Smartfone geladen, damit er den Flieger nach Peru nicht verpassen sollte. Meine Kapitulation war gepaart mit Mitleid.

Nach etwa weiteren 10 Minuten solidarischen Wartens mit den anderen Bahngeplagten, kam eine junge Frau in blauer Uniform mit entsprechendem Emblem auf den Bahnsteig und ging Richtung Infohäuschen. Sofort rannte ein wutschnaubender Bahnkunde auf sie zu und beschimpfte sie. Da dies in unmittelbarer Nähe von mir geschah, stellte ich mich zwischen beide und versuchte dem Wüterich zu erklären, dass diese Person absolut nichts für den Zugausfall könne. Er antwortete, dass sie sich schämen solle, bei einem solchen Laden zu arbeiten. Hier wurde mir dann deutlich, warum sich das Bahnpersonal bei Zugausfällen versteckt. Ich vermutete, dass die junge Frau schon mehrere Antiaggressionsseminare hinter sich hatte, da sie sich nach dieser Attacke in aller Ruhe bemühte, ihre spärlich vorhandenen Informationen zu verstreuen.

So fuhr ich dann mit dem Schwarzwaldexpress nach Karlsruhe, um dort auf dem Bahnsteig 3 in den ICE nach Berlin einzusteigen, aber vor Berlin in Mannheim am gegenüberliegenden Bahnsteig wieder umsteigen zu müssen. In Karlsruhe angekommen, empfing mich eine unüberschau-bare Menschenmenge, die aus 2 ausgefallenen ICEs den Bahnsteig überfüllten.

Endlich kam der angekündigte Zug und die Aussteigenden hatten kaum eine Chance ihr Vorhaben zu bewältigen, da die Einsteigewilligen alles blockierten. Mathematisch ergab sich dann folgende Realität: Reisende zweier ausgefallener ICEs steigen in einen 3. vollbesetzten ICE!!

Dennoch gelang es mir in der 1. Klasse einen Platz zu ergattern: Stehplatzgröße unterhalb der Legehennen-Verordnung der EU. Jedoch mit Vorteil, ich stand 1. Klasse. An mich links angelehnt, drückte ein Mann, den ich nach seinem Reiseziel fragte. Als er mir mit Hamburg-Altona antwortete, versank ich in Mitleid und Demut. Was ist dagegen schon Frankfurt Hbf?

Dennoch musste ich mich gegen eine in mir aufkommende Aggressionen zur Wehr setzen. Dabei half mir ein Zitat von Max Frisch:
“ Eine Krise ist ein produktiver Prozess. Man muss ihr nur den Beigeschmack einer Katastrophe nehmen“.

So überkam mich die Idee, wie ich meinen Zustand zum positiven wenden könnte. Ich gedachte des derzeitigen Protests gegen Rechtsradikalismus in Italien, der „Sardinenbewegung“ und erklärte mich aus der Ferne eingezwängt, solidarisch mit meinen italienischen Gesinnungsgenossen.

Dieses Gefühl des nicht sinnlosen, eingezwängten Herumstehens zwischen Menschen und Koffern, trug mich dann relativ leichten Herzens bis Frankfurt Hbf.

Eine weitere Erfahrung half mir über die Bahntraumatische-Belastungs- störung hinweg: Ich saß dann, zwar mit fast 2 Stunden Verspätung, dennoch an einem opulenten und mit heißem Kaffee gedeckten Frühstückstisch.

Also Herr Watzlawick: Es gibt nicht nur: „Vom Schlechten des Guten“ sondern auch frei nach Max Frisch: “ Vom Guten des Schlechten“.
In diesem Sinne…….. Sänk ju for drewwelling wiss se Deutsche Bahn!!

Reiner KIEFER
Wenn es um Macht geht, wird Wahrheit zum Luxus. (R. Fabbri)

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